Flexibilität (Energiesystem)

Definition

Flexibilität im Kontext des deutschen Energiesystems beschreibt die Fähigkeit des Stromnetzes sowie des Strommarkts, Schwankungen in der Nachfrage oder des Angebots von Strom auszugleichen und so die Stabilität der Stromversorgung und damit die Versorgungssicherheit zu garantieren. Dies beinhaltet die Möglichkeit zum Ausgleich sowohl zeitlicher (Tag-Nacht/ Sommer-Winter Volatilität) als auch räumlicher Ungleichgewichte zwischen Erzeugung und Nachfrage (lokale Stromverteilung und auch überregionaler Stromtransport).

Reicht die aktuelle Flexibilität des deutschen Energiesystems für die Energiewende aus?

Mit den aktuellen Zielen der Bundesregierung zur Energiewende von 80 % erneuerbarer Stromerzeugung bis 2030 muss innerhalb weniger Jahre ein Großteil der konventionellen Großkraftwerke durch erneuerbare Quellen ersetzt werden. Dadurch erhöht sich nicht nur die Anzahl von individuellen Erzeugungsanlagen und somit die Komplexität um ein Vielfaches, auch die Volatilität der Stromproduktion steigt stark an.  
Dass das aktuelle Energiesystem überfordert sein wird, diese Volatilität auszugleichen, zeigt sich bereits heute durch starke Preisschwankungen und die Abriegelung von erneuerbaren Energien.  
Eine genaue Beschreibung der Herausforderung, vor der das heutige deutsche Energiesystem steht, ist in unserem Artikel „Wie das Stromnetz auf 80 % erneuerbare Energien vorbereitet werden muss“ beschrieben.

Eine Erhöhung der Flexibilität der deutschen Energiesysteme ist somit zwingend notwendig, um das System auf die hohe Anzahl volatiler Erzeugungsanlagen vorzubereiten und auch bei großen Schwankungen die Versorgungssicherheit zu garantieren.
Doch wie kann das bundesweite Energiesystem flexibilisiert werden und was muss dafür getan werden?

In welchen Bereichen muss flexibilisiert werden?

Zur Vereinfachung unterteilen wir die Flexibilität in zwei Bereiche, die räumliche und die zeitliche Flexibilität.

Mithilfe der räumlichen Flexibilität des Energiesystems können geografische Schwankungen ausgeglichen werden. Ein bekanntes Beispiel dafür ist der Nord-Süd-Engpass Deutschlands. An stürmischen Tagen produzieren die Windräder des rauen Nordens einen hohen Überschuss an erneuerbaren Strom. Um damit auch den Süden Deutschlands zu versorgen, muss der Strom über Hochspannungsleitungen in den Süden transportiert werden. Hier kommt es regelmäßig zu Engpässen, was bedeutet, dass mehr Strom von Nord nach Süd transportiert werden soll, als die Leitungen transportieren können. Die Folge davon sind die Abschaltung von erneuerbaren Erzeugungsanlagen im Norden und das Hochfahren von konventionellen Anlagen im Süden. Wichtig ist, dass die Höhe der zusätzlichen Erzeugungen im Süden, dieselbe Höhe der Abschaltungen im Norden entspricht, da nur so der insgesamt benötige, Strom erzeugt wird.

Die bekannteste Herausforderung, welche im Unterschied hierzu die zeitliche Flexibilität lösen muss, ist die Tag/Nacht Schwankung von Photovoltaikanlagen, welche tagsüber einen erheblichen Teil des benötigten Stroms produzieren können, nachts allerdings nicht zur Verfügung stehen. Bei 80 % erneuerbarer Stromerzeugung im Jahr 2030, muss das Energiesystem flexibel genug sein, um auch bei einer geringen Stromproduktion in der Nacht die Nachfrage decken zu können.
Neben dieser eher kurzfristigen zeitlichen Flexibilität muss das System ebenfalls die sogenannten „Dunkelflauten“ ausgleichen. Diese sind tage- oder sogar wochenlange Zeiträume, in denen durch schlechtes Wetter die Produktion von erneuerbaren Energien, speziell Wind und Photovoltaik, einbricht. So muss das System auch solche langfristigen Schwankungen ausgleichen können.

Hinzu kommt ebenfalls, dass nicht nur die Erzeugung zeitlich stark schwankt, sondern auch der Verbrauch. Typischerweise gibt es morgens (7.00-9.00) und abends (17.00-21.00) bestimmte Spitzenzeiten, zu denen der Verbrauch in Haushalten stark ansteigt. Das Energiesystem muss also in der Lage sein, sowohl die Erzeugungs- als auch die Verbrauchsschwankungen in Einklang zu bringen und somit eine sichere Stromversorgung zu garantieren.


Welche Möglichkeiten der Flexibilisierung des Energiesystems haben wir?

Zum Aufbau sowohl der zeitlichen als auch der räumlichen Flexibilität des Energiesystems gibt es mehrere Ansatzpunkte. So ziehen sich die Lösungsmöglichkeiten von Erhöhung der Flexibilität von der initialen Stromerzeugung über Integration von Speichern bis zur Flexibilisierung des finalen Verbrauchs.
In folgender Infografik ist eine Übersicht über die wichtigsten Möglichkeiten dargestellt, wie die Flexibilität des Energiesystems erhöht und wie das System auf die 80 % erneuerbare Energie im Jahr 2030 vorbereitet werden kann.

Beginnend bei der Erzeugung gibt es die Möglichkeit, die Stromproduktion durch die Regelung von Erzeugungsanlagen dem Verbrauch anzupassen. Zu Spitzenzeiten beispielsweise müssten die Anlagen hochgefahren und in den Off-Peak Zeiten heruntergefahren werden.  
Dieser Ansatz funktioniert mit Anlagen, welche unabhängig von externen Einflüssen Strom produzieren können, gut. Hierzu zählen konventionelle Großkraftwerke oder bestimmte erneuerbare Energieanlagen wie Biomasse und Wasserkraft, nicht aber stark wetterabhängige Erneuerbare wie Wind oder Solar.

Genau wie die Erzeugung dem Verbrauch angepasst werden kann, kann ebenfalls andersherum der Verbrauch an die Erzeugung angepasst werden. So gibt es heute bereits Smart-Home Konzepte für die nahe Zukunft, die abhängig vom Strompreis die Haushaltsgeräte automatisch in Betrieb nehmen können, sowie ähnliche Ladekonzepte für Elektroautos.  Da der Strompreis üblicherweise dann sinkt, sobald ein Überschuss an erneuerbarem Strom produziert wird und dann steigt, wenn teure konventionelle Kraftwerke übernehmen, bieten solche Konzepte einen vielversprechenden Teil der Lösung der Flexibilität des deutschen Energiesystems an. Damit diese Konzepte jedoch Realität werden können, ist ein bundesweiter Rollout der Smart Meter Systeme für Haushalte nötig, welcher aktuell nur langsam vorangeht.
Ähnliche Konzepte existieren ebenfalls in der Industrie auf einer weitaus größeren Skala. So können ganze Stahl- oder Papierproduktionen abhängig vom Strompreis gefahren werden. Da eine Echtzeit-Anbindung an die Strommärkte in der Industrie bereits deutlich weiter fortgeschritten ist, werden diese Ansätze teils schon heute in der Praxis umgesetzt.

Die mögliche Flexibilisierung sowohl der Erzeugung als auch des Verbrauchs ist jedoch begrenzt. Besonders durch den massiven Ausbau von vergleichsweise unflexiblen Erzeugungsanlagen wie Wind und Solar wird die Möglichkeit der Flexibilisierung der Erzeugung in Zukunft sogar eher sinken als steigen. Und auch wenn die Konzepte der Flexibilisierung des Stromverbrauchs ein wichtiger Teil der Lösung sein werden, wird es immer Spitzenzeiten wie Morgens oder Abends geben, an denen ein hoher Verbrauch zwingend vom Angebot gedeckt werden muss, unabhängig davon, ob die Sonne scheint oder der Wind weht.

Um also auch zu diesen Zeiten die Versorgungssicherheit zu garantieren, benötigt das deutsche Energiesystem eine weitere Möglichkeit der Flexibilisierung, welche mit der großflächigen Integration von Speichersystemen gegeben ist. Durch den Ausbau von groß skalierten Speichern können sowohl die zeitlichen als auch räumlichen Ungleichgewichte des Energiesystems effektiv ausgeglichen werden. So können die Speichersysteme überschüssigen Strom aufnehmen und zeitversetzt, bei erhöhter Nachfrage, ins Netz zurückspeisen. Das gilt sowohl für kurzfristige Schwankungen (Tag/Nacht Ausgleich durch Batteriegroßspeicher) als auch für langfristige Schwankungen (Ausgleich langfristiger Volatilität zum Beispiel durch Power-to-Gas). Auch können Speichersysteme, sofern diese an strategisch wichtigen Netzknoten errichtet werden, die räumlichen Ungleichgewichte korrigieren. Bei einem Überschuss im Norden können beispielsweise Speicher in dieser Region den Strom aufnehmen und Speicher im Süden können zeitgleich zuvor gespeicherten Strom einspeisen (Redispatch). Hierfür sind besonders Batteriegroßspeicher geeignet, da diese durch ihren geringen Platzbedarf fast überall gebaut und so direkt an den kritischen Netzknoten errichtet werden können. So können Netzengpässe und die Abschaltung von erneuerbaren Energien vermieden werden. Der Ausbau der Stromnetze bleibt dabei weiterhin wichtig, er wird aber von der Nutzung der Flexibilität flankiert. Die Flexibilität aus Batteriegroßspeichern steht im Vergleich zum Netzausbau sehr schnell zur Verfügung und ein volkswirtschaftlich unsinniger Ausbau des Stromnetzes „bis zur letzten kWh“ wird vermieden.  

Details zu den verschiedenen Speichersystemen und deren Anwendungsmöglichkeiten sind im Glossareintrag „Elektrische Energiespeicher“ zu finden.  

Auch wenn die großflächige Integration von Speichersystemen eine der effektivsten Möglichkeiten der Flexibilisierung des Energiesystems bietet, so ist keiner der hier genannten Lösungen alleine möglich, die insgesamt nötige Flexibilität zu liefern. Es muss sowohl die Erzeugung als auch der Verbrauch im Rahmen der technischen Möglichkeiten flexibilisiert werden. Zudem muss der Ausbau von Speichersystemen beschleunigt werden. Nur in der Kombination aller Lösungen kann das deutsche Energiesystem schnell genug flexibilisiert werden, sodass auch bei 80 % erneuerbaren Energien im Jahr 2030 die Erzeugung und der Verbrauch zu jedem Zeitpunkt und an jedem Ort in Einklang gebracht werden können.