Besondere Zeiten erfordern besondere Maßnahmen. Wer hätte es vor einem Jahr für möglich gehalten, dass sich mitten in Europa ein brutaler Angriffskrieg ereignet und dass auch Deutschland die Folgen so deutlich zu spüren bekommt– nicht unmittelbar militärisch im eigenen Land, aber unter anderem in unserer Energieversorgung.
Die Bundesregierung muss in dieser Situation handlungsfähig bleiben und auf die extreme Situation reagieren, was teils mehr, teils – siehe Gas-Umlage – weniger erfolgreich gelingt. Ein zentrales Element des Gegensteuerns ist die sogenannte „Strompreisbremse“, die aktuell das Gesetzgebungsverfahren durchläuft. Ein erster Entwurf wurde am 22.11. vorgestellt. Was die Bundesregierung dort aber im Kleingedruckten vorschlägt, darf so nicht Gesetz werden, denn die Folgen für die Energiewende wären unabsehbar.
Die Rede ist von der dort vorgesehenen endgültigen und unmittelbaren Abschaffung der sogenannten „vermiedenen Netzentgelte“, geregelt im § 120 des Energiewirtschaftsgesetzes und im § 18 der Stromnetzentgeltverordnung. Vermiedene Netzentgelte werden vom Anschlussnetzbetreiber an Erzeugungsanlagen ausgeschüttet, wenn dezentrale Stromerzeugung dem Verbrauch in einem Netzgebiet entgegenwirkt. Konkret zahlt ein lokaler Netzbetreiber einen geringeren Betrag an Netzentgelten an den vorgelagerten Netzbetreiber, wenn in Zeiten der Jahreshöchstlast ein dezentraler Erzeuger ins Netz einspeist und damit die des Netzbetreibers Jahreshöchstlast senkt. Diese Ersparnis wird dann vom Netzbetreiber an den dezentralen Erzeuger weitergereicht und ausgezahlt.
In der Branche herrscht ein weitgehender Konsens, dass die Netzentgeltsystematik dringend und grundlegend reformbedürftig ist. Die gesamte rein auf Lastspitzen ausgerichtete Netzentgeltsystematik passt nicht mehr in eine Zeit, in der der Netzausbaubedarf häufig von Erneuerbaren getrieben wird, und eben nicht von der Lastseite. Man darf gespannt auf die Reformdynamik in nächster Zeit sein. Allerdings wurde schon vor Jahren erkannt, dass die „vermiedenen Netzentgelte“ ein Auslaufmodell sind. Deshalb wurde entschieden, sie nur noch an Anlagen auszuzahlen, die bis spätestens 31.12.2022 ans Netz gehen. Dies gilt auch für Energiespeicher in ihrer Funktion als Einspeiser, also „Stromerzeuger“, wenn sie entladen werden.
Damit schien die Angelegenheit der „vermiedenen Netzentgelte“ abschließend geklärt – bis zur Veröffentlichung des Gesetzentwurfs zur Strompreisbremse. Man muss schon sehr genau hinsehen, doch in dem einhunderteinundsechzig Seiten umfassenden Paket ist auch vorgesehen, dass die oben genannten §120 EnWG und §18 StromNEV entfallen sollen. Ersatzlos, mit sofortiger Wirkung und ohne Übergangsregelungen. Die Entscheidung kommt überraschend, aber die zugehörige Begründung für diese unmittelbare Abschaffung der vermiedenen Netzentgelte wird im Entwurf mitgeliefert und lässt keinen Zweifel: Die Regelung soll sofort gestoppt werden, als Argument werden die Kosten der Maßnahme herangezogen. Lapidar heißt es: „Ein Bestandsschutz kann für Netzentgeltregelungen im Grundsatz nicht in Anspruch genommen werden. Die Streichung des § 18 zum 1. Januar 2023 beendet diese Zahlungen, die zuletzt fünf Prozent des Netzentgeltes der Verteilernetzbetreiber ausgemacht haben, daher nun vollständig.“
Die Bundesregierung öffnet hier die Büchse der Pandora, denn die Frage ist: Wenn es keinen Bestandsschutz für zentrale Elemente des Geschäftsmodells von Batteriespeichern und anderen Energiespeichern gibt, wie soll dann noch Investitionssicherheit hergestellt werden?
Wohl gemerkt: In diesem Jahr werden knapp 500 MW Batteriespeicherprojekte ans Netz angeschlossen, davon wurden über 120 MW von Kyon Energy projektiert. Der Großteil dieser Speicher hat die Erlöse aus den „vermiedenen Netzentgelten“ als fixe Größen in den Projektcase mit einberechnet, denn es handelt sich um knapp 30% der gesamt erwarteten Einnahmen. Die Anlagen wären in dieser Form nicht realisiert worden, hätte es das Instrument der „vermiedenen Netzentgelte“ nicht gegeben. Will die Bundesregierung diese Speicher in Wirklichkeit nicht?
Und wenn hier nun die Dämme brechen und es keinen Bestandsschutz mehr gibt, welche vermeintliche Subvention wird als nächstes ohne Vorwarnung eingestampft? Solange diese Frage über künftigen Investitionsentscheidungen schwebt, werden Investoren sehr zurückhaltend sein, möglicherweise langfristig. Der nötige Speicherausbau wird damit mindestens erheblich verzögert und aufgrund der steigenden Renditeerwartungen erheblich verteuert. Die erwarteten 5% Einsparungen bei den Netzentgelten im Zusammenhang mit der angedachten Abschaffung der vermiedenen Netzentgelte, von denen nur ein winziger Bruchteil auf Zukunftsinvestitionen wie Batteriespeicher entfällt, erscheinen bei dieser Aussicht mehr als bescheiden.
Das darf nicht passieren und das Gesetz zur Strompreisbremse darf in dieser Form keinesfalls beschlossen werden. Es ist zu hoffen, dass die Idee der Abschaffung der vermiedenen Netzentgelte in ihrer aktuellen Form schnell beerdigt und schon bald vergessen sein wird, genau wie kürzlich die Gasumlage. Vermutlich war den Referenten im Bundeswirtschaftsministerium bei der Erstellung des Entwurfs nicht bewusst, dass neben diversen fossilen Energieträgern auch Energiespeicher von der Maßnahmen betroffen sind, und dies in besonders hohem Maße. Unsere Hoffnung ist nun, dass im Rahmen des eigentlichen Gesetzgebungsverfahrens zur Strompreisbremse im Bundestag nun Übergangs- und/oder Ausnahmeregelungen für Speicher geschaffen werden.
Außerdem hoffen wir in den nächsten Monaten auf eine gründliche Reform des Energiewirtschaftsrechts, um Energiespeicher dort als Anlagen zu verankern, die weder Letztverbraucher noch Erzeuger elektrischer Energie sind, sondern eben Energiespeicher gemäß der kürzlich festgelegten Definition im Energiewirtschaftsgesetz. Auch die enormen Vorteile von Speichern für die Sicherung des Netzbetriebs müssen dort reflektiert werden, damit die Speicher im Regulierungsrahmen ihre technischen Stärken voll ausspielen und die Energiewende weiter beschleunigen können. Das sollte aber nicht von der Schadensbegrenzung ablenken, die nun unmittelbar bei der Korrektur der „Strompreisbremse“ nötig ist.